Nach dem Willen einiger junger Unionspolitiker sollen Kinderlose künftig ab dem Alter von 25 Jahren mit einer Sonderabgabe belegt werden, weil, so die altbekannte Leier, angeblich die sozialen Sicherungssysteme nicht funktionieren, wenn zu wenig Kinder geboren werden. Nun braucht man wohl nicht extra darauf hinzuweisen, dass die Idee, dem Kinderwunsch mit Strafsteuern auf die Sprünge zu helfen, an Zynismus und Kinderfeindichkeit kaum zu überbieten ist. Auch die Altersgrenze von 25 Jahren, ab der nach dem Willen der Unionspolitiker die Sonderabgabe für Kinderlose gelten soll, erscheint ein wenig, nun, gewagt. Zumindest sollte sich die Politik dann wohl erstmal von dem Wunsch verabschieden, vor allem die Akademikerinnen in die Kreißsäle treiben zu wollen, denn unter den jetzigen Bedingungen lassen sich Studium und Elternschaft nicht besonders gut vereinbaren. Vor allem, wenn man noch die Wünsche der Arbeitgeber berücksichtigt: zügiges Studium, dabei Arbeitserfahrung sammeln, am besten im Ausland, mehrere Fremdsprachen fließend sprechen – und dann noch ein Kind großziehen (genauer: zwei Kinder, denn auch Eltern von nur einem Kind sollen zumindest die halbe Sonderabgabe blechen, die faulen Säcke)? Ich glaube, daran scheitert sogar die super-flexible, allzeit verfügbare, Multitasking-fähige junge Generation.
Doch auf all das kommt es letztlich gar nicht an. Die Debatte, wie man denn nun den Deutschen am besten ihre Zeugungs- und Gebärunwilligkeit austreiben könnte, geht in die völlig falsche Richtung. Die überraschende Wahrheit ist nämlich: es werden eben nicht zu wenig Kinder geboren, und der Geburtenrückgang ist für Deutschland ein Segen.
Ein pyramidenförmiger Bevölkerungsaufbau und Langlebigkeit gehen nicht zusammen
Wir kennen das: unsere Bevölkerungsstruktur sei alles andere als optimal, weil sie weniger einer Pyramide (viele Junge unten, wenige Alte an der Spitze), sondern mehr einer Urne ähnelt. (Dabei ist das Bild der Urne, das mit Tod assoziiert wird, für sich allein genommen schon Panikmache und Propaganda. Genausogut könnte man an eine hübsche Vase denken). Nun sind Pyramiden beeindruckende Bauwerke; als Abbild einer Bevölkerungsstruktur jedoch sind sie der reine Albtraum. Sie verkörpern nämlich mitnichten eine junge, dynamische Gesellschaft, sondern im Gegenteil eine Bevölkerung mit geringer durchschnittlicher Lebenserwartung und hoher Kinder- und Jugendsterblichkeit. Steigt die Lebenserwartung und sinkt die Kinder- und Jugendsterblichkeit, so lässt sich eine Pyramide nur durch ständiges massives Bevölkerungswachstum aufrechterhalten: egal ob Kinder oder Einwanderer, auch diese werden irgendwann das Rentenalter erreichen, so dass wieder mehr mehr Kinder geboren/Einwanderer ins Land geholt werden müssen, um die Ratio aufrechtzuerhalten, und dann wieder mehr, usw. und so fort – ein Kreislauf, der einfach nicht aufrechtzuerhalten ist.
Weniger Menschen, mehr Lebensqualität
Ziel kann also nur eine stabile Bevölkerung sein – aber diese muss keinesfalls bei 80 Millionen liegen. Im Gegenteil, eine kleinere Bevölkerung wäre für Deutschland weitaus vorteilhafter. Nur mal ein kleines Rechenexempel: Im Jahr 2006 betrug die deutsche Bevölkerung 82,64 Millionen. Damit stand pro Person 1,86 gha Biokapazität zur Verfügung. Der ökologische Fußabdruck pro Person lag jedoch bei 4,03 gha. Das heißt, die Überschreitung der Biokapazität, und damit die Abhängigkeit von importierter Biokapazität, lag bei 53,8%. Unter Zugrundelegung des Pro-Kopf-Fußabdrucks hätte die in Deutschland verfügbare Biokapazität nur ausgereicht, um 46,2% der Bevölkerung auf Dauer zu versorgen. Die maximal tragbare Bevölkerung für Deutschland läge damit bei – Achtung, festhalten – 38,40 Millionen. Damit ist Deutschland offiziell überbevölkert. Und wir regen uns auf, weil wir auf 70 Millionen schrumpfen?!
Arbeitslose oder Beitragszahler?
Nicht jedes Kind wird einmal zum Beitragszahler. Wir müssen gar nicht das Schlimmste annehmen – etwa dass der kleine Schatz einmal arbeitslos, straffällig oder gar Beamter wird. Es besteht immer die Möglichkeit, dass jemand krank und arbeitsunfähig wird, sich selbständig macht oder – was Unionspolitiker ja immer besonders freut -beschließt, dass dann ja die nächste Generation erst mal mit dem Beitragszahlen anfangen kann, während er (oder eher sie) als Hausfrau und Mutter zuhause bleibt. So viele Unwägbarkeiten… gar keine Unwägbarkeiten hingegen gibt es bei der Tatsache, dass jeder von uns die Gesellschaft ersteinmal Unsummen kostet, bis er überhaupt soweit ist, irgendwann etwas zurückgeben zu können: Kindergeld, Krankenmitversicherung, Schule, ggf. Universität, Müll, Elektrizität, öffentlicher Nahverkehr,… ja, Kinder kosten Geld. Und zwar in erster Linie den Staat.
Auch die Jungen müssen versorgt werden
Nicht die Jungen versorgen die Alten, sondern die Erwerbstätigen mittleren Alters versorgen die Alten UND die Jungen. Und zwar auch in Zukunft in weitaus weniger dramatischem Ausmaß als vorausgeunkt. Im Gegenteil, der Belastungsquotient (die Anzahl der Alten und Jungen, die auf eine Person im erwerbsfähigen Alter kommen), war in der Vergangenheit in der BRD höher als heute und noch in den nächsten zwanzig Jahren, und wird auch zwischen 2030 und 2050 gegenüber den Höchstwerten Anfang der 70ger Jahre nur geringfügig ansteigen. Danach ist wegen des Versterbens der ältesten Babyboomer mit einer erheblichen Verjüngung der Bevölkerung zu rechnen. Außerdem sei hier kurz daran erinnert, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa während des gesamten 20. Jahrhunderts erheblich angestiegen ist. Und trotzdem haben wir es zu Wohlstand gebracht und tragfähige soziale Sicherungssysteme aufgebaut.
Politik statt Biologie
Entscheidend für die Sozialversicherungssysteme ist ohnehin nicht die Anzahl der Erwerbsfähigen, sondern der Erwerbstätigen, genauer: der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Und da ließe sich auch von Seiten der Politik einiges drehen: zum Beispiel eine Rücknahme der Erleichterungen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und Aufnahme der Beamten und Selbständigen in die gesetzliche Sozialversicherung.
Das sind nur einige der Punkte, die uns in der öffentlichen Debatte gerne vorenthalten werden. Wie es der Zufal will, habe ich in weiser Voraussicht bereits ein ganzes Buch über die Thematik geschrieben. Wir müssen uns nämlich endlich verabschieden von dem rückwärtsgewandten Denken, das Bevölkerungswachstum mit wirtschaftlicher und politischer Stärke gleichsetzt. Die Verhältnisse haben sich dramatisch verändert, und diese Entwicklung wird sich in Zukunft noch verstärken. Im 21. Jahrhundert gilt: weniger sind mehr.